Mittwoch, 20. Januar 2016

Notarzt und Assistenten


Schön an Landessozialgerichten sind unterschiedliche Senate mit unterschiedlichen Ansichten. Berlin. (nein, es geht dabei nicht um die Toiletten in Tegel, die voraussichtlich noch 10 jahre gut riechen) Es geht um Notärzte. Und Assistenten. Genauer um solche und solche. 
Das LSG Berlin-Brandenburg - L 1 KR 105/13 setzte sich dabei mit folgendem Anfrageverfahren auseinander - wobei der Zeitraum zwischen Anfrage und Urteil immerhin fast 6 Jahre beträgt:
Am 12. November 2009 beantragten die Klägerin und der Beigeladene bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin. Der Beigeladene beschrieb seine Tätigkeit wie folgt: Nach Bedarf Ableistung selbständiger Notarzteinsätze bei verschiedenen Arbeitsgebern/eigene Einsatzkleidung, Stethoskop.
Da zuckt der Sozialrechtler und schluckt wegen des geringen Investitionsvolumens. Was kostet eigentlich ein Stethoskop?

Das LSG hat sich nun mit Details sehr interessant auseinander gesetzt:
Einige der bereits genannten, im Rahmen des § 7 SGB IV für die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung entwickelten Kriterien sind für die Einstufung der Tätigkeit eines Notarztes im Rettungsdiensteinsatz ohne Bedeutung. Denn angesichts der Umstände, welche die Ausübung dieser Tätigkeit prägen, haben sie keine Aussagekraft dafür, ob die Tätigkeit in Abhängigkeit oder als Selbständiger verrichtet wird. Dies betrifft die Fragen des Unternehmerrisikos, der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und das Nutzen fremder Arbeitsmittel. Insoweit ist die Tätigkeit hier dadurch bestimmt, dass die zur Personalstellung verpflichteten Krankenhäuser an von ihnen beauftragte Notärzte einen bestimmten Stundensatz zahlen, der sich primär nicht an einem besonderen unternehmerischen Erfolg, sondern an der Dauer der erbrachten Bereitschafts-Dienstleistung sowie der Zahl der konkreten Einsätze orientiert. Der Rettungsdienst ist davon geprägt, dass Vorsorge vor allgemeinen Notfällen und für Katastrophenfälle geleistet und im Notfall geholfen wird. Er ist also von der Bereitschaft und der Erbringung von Notfalleinsätzen geprägt und gerade nicht von einzelnen ärztlichen Dienstes, wie die die Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte darstellt. Deswegen stellt es kein Argument für oder gegen die Selbständigkeit eines Notarztes dar, dass er wegen des festen Stundensatzes nicht das Risiko trägt, Arbeitsleistungen zu erbringen ohne eine Vergütung dafür zu erhalten. Nach Auffassung des Senats gehört die Tätigkeit als Notarzt zu den durch die Persönlichkeit des Dienstleisters bestimmten Tätigkeiten, die sowohl in der Form einer abhängigen Beschäftigung als auch in der einer selbständigen Tätigkeit erbracht werden (vgl. bereits Urteil des erkennenden Senats v. 17. Januar 2014 - L 1 KR 137/13 - und zuletzt Urteil vom 30. Januar 2015 - L 1 KR 301/12; speziell zu Ärzten: Urteil vom 17. April 2014 - L 1 KR 405/12). Nicht der Rahmen einer bestehenden betrieblichen Organisation, sondern die Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen des konkret und einzeln Handelnden.

Das LSG setzt sich vor allem mit Eingliederung und Weisung und der Frage der Arbeitnehmerüberlassung auseinander. Man hätte hier die Frage eines "Gemeinschaftsbetriebes" stellen können, aber das würden vermutlich nur wirre Arbeitsrechtler tun. 
Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Beigeladene jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht einem Weisungsrecht der Klägerin unterlegen hat bzw. unterliegt, das über die vertraglichen Regelungen hinausging und geeignet ist, eine abhängige Beschäftigung zu begründen.

Es ist zunächst unstreitig, dass der Rettungsdienst nicht in den Krankenhausbetrieb der Klägerin integriert ist. Außer durch die Organisation des Dienstplanes übernimmt die Klägerin auf die Arbeit der Notärzte keinen Einfluss. Es stellt weder den Notarztwagen, noch die Arbeitsmittel. Die Bereitstellung eines Aufenthaltsraumes erfolgt gegenüber dem Träger des Rettungsdienstes.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich eine Weisungsabhängigkeit de facto dergestalt zeigt, dass die Klägerin im Wege einer Art Arbeitnehmerüberlassung dem Träger des Rettungsdienstes ärztliches Personal überlässt und die Weisungsabhängigkeit zwischen dem Arbeitnehmer zum Entleiher auch im Verhältnis Arbeitnehmer zum Verleiher als Arbeitgeber zeigt.
Mir fehlt das Abarbeiten des Unternehmerrisikos, aber vielleicht muss man sich von diesem Unsinn lösen. Im Unternehmerrisiko wird zu pauschal mit den investitionen hantiert und zu wenig überlegt was die Leistung ausmacht und wie sie beschaffen ist.

Insgesamt ein befriedigendes Urteil mit Lücken. Könnte man sagen.

Nebenbei: Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 18.12.2013 – L 2 R 64/10 – ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Notarzt und einer Rettungsdienst-GmbH bejaht. Wenn ich mich recht erinnere, ging es aber um Hubschrauber und stärkere Einbindung in das Team.

Der Baggerfahrer ohne Bagger

Fahrzeug haben oder nichthaben, das ist hier die Frage an der sich immer wieder viel abspielt, vor allem wenn die . 

Der Kläger war als Baumaschinenführer für mehrere Auftraggeber unterwegs und bediente deren Gerät. Der Fall scheint auf den ersten Blick wenig aussichtsreich, man kann schwer unterscheiden inwiefern sich der kläger - auf den ersten blick - von einem angestellten Baggerführer unterscheidet. Ein gewisses Kriterium lag wohl daran, dass er eine Angestellte beschäftigte. 

Das LSG Baden-Württemberg ist für Auftraggeber vermutlich angenehmer als andere LSG in Deutschland:

Nach dem Gesamtbild der Tätigkeit ist der Senat auch davon überzeugt, dass der Kläger zu 1) nicht in den Betriebsablauf der Klägerin zu 2) eingegliedert war. Wie die Kläger übereinstimmend vorgetragen haben, war der Kläger zu 1) auf den Baustellen allein tätig. Lediglich für die Abfuhr von Abbruchmaterial bzw die Zufuhr von Material zur Verfüllung musste er sich mit den Lkw-Fahrern der Klägerin zu 2) abstimmen. Vorgaben gab es weder hinsichtlich der Art der Tätigkeit, noch zum zeitlichen Ablauf. Der Kläger zu 1) musste seine Arbeitsstunden nicht erfassen oder vom Kunden der Klägerin zu 2) bestätigen lassen, es gab keine verpflichtenden Anwesenheitszeiten. Die aus der Natur der Sache erforderliche Koordinierung, die im Wege gleichberechtigter Absprache erfolgte, begründet keine Eingliederung in einen fremden Betriebsablauf. Entscheidend ist hier, dass der Kläger zu 1) nicht im Rahmen von laufender Zuarbeit für andere Mitarbeiter der Klägerin zu 2) tätig geworden ist, was ohne Weisungsrecht kaum vorstellbar wäre, sondern sich selbst zur Erbringung von konkret abgrenzbaren Werkleistungen verpflichtet hat. Soweit es um Ort und Art der Tätigkeit sowie den zeitlichen Rahmen geht, waren die entsprechenden Festlegungen bereits Vertragsinhalt, so dass insoweit nicht durch Einzelanweisungen auf die Tätigkeit des Klägers zu 1) Einfluss genommen wurde. Umstände, die durch entsprechende Rahmenvereinbarungen oder -pläne bereits im Voraus vertraglich festgelegt sind, begründen idR kein Weisungsrecht des Auftraggebers (vgl BSG 04.04.1979, 12 RK 37/77, juris zur Verpflichtung eines Orchestermusikers, eine Tracht zu tragen und ein bestimmtes Instrument zu spielen; BSG 27.11.1980, 8a RU 26/80, juris zu Ringtourenfahrer; BSG 12.02.2004, B 12 KR 26/02 R, juris zu Dozent an einer Volkshochschule). Der Kläger zu 1) trat auch nach außen hin nicht als Mitarbeiter der Klägerin zu 2) auf, was sich schon aus der Eigenwerbung auf Auto und Arbeitskleidung ergibt.

Interessant ist es und die Argumente sind schön dargestellt. Rechtsprechung aus dem Jahr 1980 finde ich zwar wenig elegant, aber das Ergebnis zählt. Was bleibt? Das Totschlagargument:

Hauptstreitpunkt im vorliegenden Fall ist die Frage des Vorliegens eines unternehmerischen Risikos als ein entscheidender Gesichtspunkt im Rahmen der Abwägung. Wird letztlich nur die eigene Arbeitskraft eingesetzt und keine Arbeitsmittel mit der ungewissen Aussicht darauf, Einnahmen zu erzielen, liegt eine abhängige Beschäftigung vor. So liegt der Fall entgegen der Auffassung der Beklagten hier indes nicht. Zwar hat der Kläger zu 1) keinen eigenen Bagger eingesetzt, dies ist jedoch kein Ausschlusskriterium für das Vorliegen selbstständiger Tätigkeit. Aufgrund der Vereinbarung eines Pauschalpreises hatte der Kläger zu 1) hier gleichwohl ein unternehmerisches Risiko, denn er musste die vereinbarte Leistung auch dann vollständig erbringen, wenn dies mehr Zeit erforderte, als von ihm kalkuliert. Anders als in dem vom Senat zuletzt entschiedenen Fall eines Baggerfahrers ohne eigenen Bagger (Urteil vom 30.09.2014, L 11 KR 2937/13) war hier kein fester Stundenlohn vereinbart, welcher den Betroffenen des Risikos enthebt, für seinen Arbeitseinsatz uU keine Gegenleistung zu erhalten. Die Vereinbarung eines festen Stundenlohns, die der typischen Entlohnung eines abhängig Beschäftigten entspricht (Senatsurteile vom 18.07.2013, L 11 R 1083/12 sowie vom 16.09.2008, L 11 R 1074/08, beide veröffentlicht in juris), liegt hier gerade nicht vor. Zudem trägt der Kläger zu 1) auch deshalb ein unternehmerisches Risiko, weil er mit der Beschäftigung einer sozialversicherungspflichten Mitarbeiterin sowie aufgrund der zu zahlenden Beiträge für Betriebshaftpflicht und Berufsgenossenschaft auch dann Aufwendungen hat, wenn keine Aufträge vorliegen. Wie das SG daher zutreffend ausgeführt hat, wird das Unternehmerrisiko durch das Fehlen eines eigenen Baggers zwar deutlich gemindert (der zwischenzeitlich angeschaffte Bagger spielt für den hier zu beurteilenden Zeitraum keine Rolle), besteht in geringerem Umfang jedoch gleichwohl.
Der Mitarbeiter spielte hier natürlich eine gewisse Rolle und natürlich die Entwicklung des Unternehmens. Man kann daher jedem Selbständigen nur raten, über kurz oder lang einen eigenen Bagger anzuschaffen.

Den Kollegen, der den Fall durchgezogen und gewonnen hat, habe ich bei einer Fortbildung ausdrücklich beglückwünscht.