Mittwoch, 20. Februar 2013

der selbständige Kurierfahrer

gewöhnlich finden sich die Entscheidungen zur Selbständigkeit unter den Aktenzeichen R (für Rente) oder KR (gesetzliche Krankenversicherung). 

Hier eine Entscheidung aus dem Lager AL: der Kläger bekam Existenzgründung und sollte diese zurückzahlen, da er nicht wirklich selbständig gewesen sei. Über 14.000 sollte der gute Mann, der als Kurierfahrer sicherlich nicht in der Steueroasen dieser Welt ansässig werden musste, zurück zahlen. 
Es ist schon abenteuerlich, einem Kurierfahrer-Gründer nach Jahren 14.000 € abzuverlangen weil er selbst (grob fahrlässig) an der Selbständigkeit hätte zweifeln müssen. Hätte doch Hartz IV beziehen können der Mann und Flaschen sammeln - oder? Wäre doch besser gewesen. Für ihn und für den Steuerzahler. (mich würgt es)

Ganz nebenbei: wer sich dieser Tage über die Nummer bei Amazon aufregt, sollte die Stundenlöhne und Stundenumsätze in der Entscheidung durchlesen.Es geht dabei um Apotheken.

Das LSG Baden-Würrtemberg kam hier zu dem Ergebnis, der Fahrer sei selbständig gewesen. Dazu wird unterschieden was die selbständigen und die beschäftigten Kurierfahrer in dem Unternehmen ausmacht: 

Gegen eine selbständige Tätigkeit und für eine abhängige Beschäftigung bei der T. GmbH spricht zunächst die Tatsache, dass der Kläger bereits vor Anmeldung seiner selbständigen Tätigkeit als Kurierfahrer und für Kleintransporte für die T. tätig war. Diese Tätigkeit unterschied sich aber grundlegend von der nachfolgenden Tätigkeit. Zunächst wurden ihm als abhängig Beschäftigten ausschließlich kurzfristige Tagtouren gegeben, die zu einem festen Stundensatz vergütet wurden und die jeweils zu einem bestimmten Empfänger durchzuführen waren. Darüber hinaus war der Kläger als Springer tätig, d.h. er half aus, wenn andere Mitarbeiter nicht fahren konnten. Die Tätigkeit war von vorneherein als geringfügige Beschäftigung konzipiert und sollte nicht darüber hinaus gehen. Die spätere Tätigkeit unterscheidet sich insofern von dieser Tätigkeit als der Kläger vor allem Nachttouren erhielt, auf denen die T. allein selbständige Subunternehmer einsetzte, die sie also gar nicht (mehr) an ihre Angestellten vergab. Diese Tätigkeit wurde zwar auch nach einem festen Stundensatz vergütet, aber nach der Aussage von Frau K. im Erörterungstermin vom 28.11.2012 wurde dieser feste Stundensatz eher lax gehandhabt. Faktisch wurde ein fester Satz für eine bestimmte Tour gewährt. Weiterhin lud der Kläger als geringfügig Beschäftigter die Medikamente nicht selbständig beim Auftraggeber der Firma T. , sondern übernahm diese von einem Dritten auf einem dafür verabredeten Parkplatz, während er sich als Selbständiger unmittelbar zum Depot der Firma P. begab.
Sie mussten das jetzt zweimal lesen? Ich auch. Unterschiede sind manchmal sehr fein. Ob sie im Hellen oder bei Dämmerung arbeiten, das kann schon mal ein entscheidender Unterschied zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer sein. Sie merken auch sprachlich: UNTERnehmer, ARBEITnehmer - überall ein nehmer (kein geber). Mir gefällt es trotzdem. Nach Ansicht mancher Richter sind in Deutschland grundsätzlich alle Arbeitnehmer, mit Ausnahme derjenigen, die ausnahmsweise erlaubterweise Unternehmer sind. Ob sie das wollen oder nicht.

Wirklich nett sind die Ausführungen zu Weisungen und Fahrzeug des Auftraggebers, wobei sich das LSG Mühe machte und ausnahmsweise phantasievoll zugunsten der Selbständigkeit argumentierte.

Für eine abhängige Beschäftigung spricht weiterhin, dass der Kläger zumindest teilweise den Weisungen der T. GmbH unterlag, denn er musste in einem bestimmten Zeitrahmen die Medikamente bei der Firma P. einladen und diese auch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt an den jeweiligen Apotheken abgeliefert haben. Weiterhin fuhr er täglich dieselben Apotheken an, die ihm von der T. GmbH vorgegeben waren. ... Weiterhin spricht für eine abhängige Beschäftigung des Klägers die Nutzung der Fahrzeuge der T. GmbH. Er nutzte insofern Betriebsmittel der T. GmbH und war darauf angewiesen, dass diese ihm die Fahrzeuge zur Verfügung stellte, ihn mit den Papieren und Schlüsseln zu den Fahrzeugen ausstattete und diese auch versicherte. Das spricht für eine gewisse weitere Eingliederung in den Betrieb der T. GmbH,

Zeitliche Vorgaben als solche schließen aber nicht von vorneherein eine selbständige Tätigkeit aus, denn sie sind auch unter Selbständigen durchaus üblich, wenn sie durch Sachzwänge bedingt sind. Das ist vorliegend schon daraus erkennbar, dass die zeitlichen Vorgaben nicht von der Firma T. GmbH selbst gemacht wurden, sondern sich aus den Öffnungszeiten des Depots der Firma P. und den Öffnungszeiten der Apotheken ergaben. Die Reihenfolge der Anfahrten an die Apotheken blieb den Fahrern überlassen, so dass der Kläger insofern über seine Zeit dazwischen frei verfügen konnte und z.B. den Transporter der T. GmbH - nach Absprache - zwischenzeitlich irgendwo abstellen und einen anderen Kurzauftrag mit einem eigenen Fahrzeug hätte erledigen können.
Hier der entscheidende Punkt und die Gewichtung:

Für eine selbständige Tätigkeit spricht auch, dass zwischen dem Kläger und der T. keine Urlaubsregelung getroffen wurde und der Kläger tatsächlich seine Aufträge auch durch Dritte durchführen lassen konnte. Weiterhin spricht für die selbständige Tätigkeit des Klägers, dass er seine Leistung weiteren Auftraggebern anbot, also Eigenwerbung betrieb und dass er seine Tätigkeit als Gewerbe anmeldete und Mehrwertsteuer abführte und in seinen Rechnungen auswies.

Das Gesamtbild der Tätigkeit des Klägers in der Zeit vom 02.08.2004 bis 01.08.2007 stellt sich als typischer Fall einer im Aufbau befindlichen Tätigkeit als selbständiger Kurierfahrer und Kleintransporteur dar, der zunächst einen Auftraggeber hatte und durch beständiges Suchen und Eigenwerbung weitere Aufträge erreichen konnte. Im Ergebnis ist der Kläger als typischer Existenzgründer genau den Weg gegangen, der durch § 421l SGB III gefördert werden sollte.

Immerhin mutig. Die Entscheidung bringt zum Ausdruck, dass man mit Statusfragen umgehen können muss und eine Idee haben sollte. Auf Unterschiede kommt es an. Nicht auf Platitüden.

In der Konstellation hätte ich eher vermutet, dass der Senat das Verfahren über § 45 SGB X tot macht. Das hätte dann auch den Ekel deutlicher zum Ausdruck gebracht.




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