Mittwoch, 16. Mai 2012

wirtschaftliches Risiko / Betriebsmittel

bei der Bewertung nach § 7 SGB IV spielt die Frage des wirtschaftlichen Risikos eine immer größere Rolle. Dieser Zusammenhang wird aber überschätzt und falsch intepretiert. Insbesondere führt das wirtschaftliche Risiko in der Konsequenz nicht dazu, dass es keine Selbständigen Dienstleister mehr gibt. 
Dazu das LSG Berlin-Brandenburg aus dem Jahre 2009:
 Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Argument des weitgehenden Fehlens eines Unternehmerrisikos mangels Kapitaleinsatzes kein durchschlagendes Argument für abhängige Beschäftigung. Nicht jedes fehlen eigener Produktionsmittel ("Equipment") lässt eine Tätigkeit als abhängig erscheinen. Der Kläger und die Beigeladene zu 2) haben zutreffend auf die Besonderheiten speziell bei der Übertragung von Fernsehsendungen hingewiesen. Um Kompatibilitätsprobleme zu vermeiden, stellt der Auftraggeber die wesentliche Technik selbst zur Verfügung. Es gibt jedoch auch in anderen Wirtschaftsbereichen, Konstellationen in welchem dieses Kriterium zurücktritt hinter das der Inanspruchnahme fachspezifischer Kompetenz. Als Beispiele mögen die Dienst- bzw. Werkleistungen des Lotsen (vgl. § 13 Abs. 1 SGB IV und speziell für die Abgrenzung der so genannten freien Beruf wie Rechtsanwalt und Seelotse nur gegenüber dem Gewerberecht: Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Dezember 2001 - L 4 KR 147/99 -), des Partyausrichters, des Einkauf- bzw. Stylingberaters, des Werkskantinenbetreibers und des so genannten Mietkochs dienen. Diese Freiberufler bzw. Gewerbetreibenden bedienen sich ausschließlich oder überwiegend der Einrichtungen der Auftraggeber.
Für eine selbständige Tätigkeit spricht im konkreten Fall, dass ein Großteil der Auftragstätigkeiten entgegen der Auffassung der Beklagten - und teilweise auch des Sozialgerichts - durchaus als produktionsgestaltend im Sinne der oben skizzierten Abgrenzung anzusehen sind und nicht lediglich als Mitarbeit. Soweit der Kläger eigenständig Bilder auswählt, übernimmt er die Tätigkeit eines Regisseurs, auch wenn nicht er sondern die Bildregie entscheidet, ob eine Zeitlupenwiederholung gesendet wird. Gerade bei Sportübertragungen spielt die Auswahl der Kameraposition für die Zeitlupenwiederholung eine nicht unbedeutende Bedeutung, was dem Senat aus eigener Anschauung bekannt ist und er als offenkundig ansieht. Für den Bereich der Tonwiedergabe ist auch das Sozialgericht zutreffend von der gestaltenden Tätigkeit eines (Ton-)Regisseurs ausgegangen.
Für ein gewisses Unternehmerrisiko auch ohne Kapitaleinsatz spricht, dass zur Überzeugung des Senats im Einzelnen Auftragsverhältnisse zwischen der Beigeladenen zu 2) und dem Kläger Werkverträge und nicht Dienstverträge sind. Der Kläger schuldet nicht (nur) die Leistungen seiner fachspezifischen und gestaltenden Dienste. Er schuldet vielmehr den tatsächlichen Erfolg der "Lieferung" des sendefähigen Materials.

Mittwoch, 2. Mai 2012

ein Auftraggeber - Konzern

surfen macht schlau. Und man stößt immer wieder auf alte Entscheidungen zu wesentlichen Fragen. Das BSG hat sich 2011 mit der Frage beschäftigt, wann eine Rentenversicherungspflicht im Falle eines Auftraggebers gegeben ist, wenn es sich um beim Auftraggeber um einen Konzern handelt (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI). Eine typische Konstellation dürfte dabei der Versicherungsmakler / Vertreter sein.

Unter teleologischen Gesichtspunkten ist es notwendig, wenn dieser Versicherungspflichttatbestand auch auf Selbstständige angewandt wird, die (vertragliche) Beziehungen zu mehreren, rechtlich selbstständigen, aber iS des § 18 AktG unter einheitlicher Leitung zusammengefassten (Konzern)Unternehmen unterhalten. Steht der Selbstständige als Vertragspartner einer solchen (aktien)konzernrechtlich relevanten Verbindung rechtlich eigenständiger Unternehmen gegenüber, die durch eine die Interessen der einzelnen (zusammengefassten) Unternehmen überlagernde Willensbildung geprägt ist (vgl - beruhend auf dem gesetzgeberischen Gedanken, Einfluss auf den Prozess der Unternehmenskonzentration zu nehmen - zu Autonomieverlust und Abhängigkeit als zentralen Ansatzpunkten für das Recht der verbundenen Unternehmen - zB K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl 2002, § 17 II., S 491 ff; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl 2008, S 8 ff; Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, 11. Aufl 2000, S 66 f), so besteht letztlich im Kern eine Situation, wie sie der Gesetzgeber für die Einbeziehung von selbstständig Tätigen mit nur einem Auftraggeber in die Rentenversicherungspflicht nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI zum Anlass genommen hat. Im Hinblick darauf, dass in einem Konzern iS von § 18 AktG wesentliche unternehmerische Leitungsfunktionen in zentralen Bereichen der unternehmerischen Tätigkeit, aber auch darüber hinaus einheitlich bzw koordiniert wahrgenommen werden, besteht für den Selbstständigen hier nämlich in ähnlicher Weise wie bei der Tätigkeit für nur ein einziges Unternehmen ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis, das sich typischerweise in einem Schutzbedürfnis niederschlägt, an das § 2 S 1 Nr 9 SGB VI anknüpft.

Interessant ist dabei auch das Prüfungsschema, das die Prüfung der Selbständigkeit einschließt, oder umgekehrt: ein bereits befreiter Auftraggeber muss demnach selbständig sein. Für diese Art der Aufträge zumindest.

Dienstag, 1. Mai 2012

weiter gebracht

hat mich der Terminsbericht des BSG zu den Familienhelfer. Bezüglich des bayerischen LSG wusste man es in Kassel besser: könnte eventuell, wenn man sich ein Detail genauer angesehen hätte. Aha. Und wie dann? So ganz nebenbei: an dieser nicht aufgelösten Spitzfindigkeit hängen Existenzen. Meine Mandanten bekommen keine Aufträge bis dieses Thema gelöst ist. Aber das macht nichts. Beim BSG verweist man zurück und dann machen wir das selbe Thema in zwei Jahren wieder. Warum auch nicht?


4. B 12 KR 14/10 R
SG München - S 3 KR 439/05
LSG München - L 4 KR 68/08
und
5. B 12 KR 24/10 R
SG Berlin - S 73 KR 715/05
LSG Berlin-Brandenburg - L 9 KR 232/07
Die Revisionen der beigeladenen DRV Bund (im Fall 4) bzw. der beklagten AOK (im Fall 5) waren im Sinne der Aufhebung der LSG-Urteile und Zurückverweisung der jeweiligen Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanzen erfolgreich. Die bislang getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um abschließend entscheiden zu können, ob die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzten – jeweils beigeladenen – Familienhelfer in den streitigen Zeiträumen der Versicherungspflicht als Beschäftigte in den Zweigen der Sozialversicherung und in der Arbeitslosenversicherung unterlagen. Beide Landesozialgerichte haben die für die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zwar zutreffend zum Ausgangspunkt ihrer Urteile genommen (vgl. dazu zuletzt BSG, Urt. v. 28.09.2011 - B 12 KR 17/09 R – hauswirtschaftliche Familienhelfer eines privaten Pflegedienstes). Zu Recht haben beide Berufungsgerichte auch – gegen die Ansicht der Revisionsführer – angenommen, dass allein die allgemeine jugendhilferechtliche Gesamtverantwortung eines Jugendhilfeträgers nach dem SGB VIII nicht schon für sich genommen dazu führt, ohne Weiteres i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV Weisungsrechte des Trägers gegenüber den einzelnen Familienhelfern nach der Art derjenigen eines Arbeitgebers zu bejahen. Das SGB VIII trifft keine expliziten Aussagen darüber, in welchen arbeits- und sozialrechtlichen Verhältnissen Familienhelfer stehen, die der Jugendhilfeträger im Rahmen dieser Verantwortung einsetzt (vgl. schon BAG, Urt. v. 25.05.2005 - 5 AZR 347/04 - BAGE 115, 1 unter Aufgabe entgegenstehender Rechtsprechung in BAGE 88, 327). Beide Landesozialgerichte haben zudem vielfältige für und gegen Beschäftigung bzw. Selbstständigkeit sprechende Umstände herangezogen und diese in einer Gesamtschau gewürdigt. Diese Gesamtschau ist indessen in beiden Fällen rechtsfehlerhaft. Eine rechtmäßige Gesamtabwägung setzt nämlich voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Indizien festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und dann nachvollziehbar gegeneinander abgewogen werden. Daran fehlt es jeweils.
Im Fall des klagenden bayerischen Landkreises hat das Landessozialgericht nicht hinreichend in den Blick genommen und daher nicht korrekt in seine Gesamtabwägung eingestellt, dass engmaschige Teambesprechungen mit den Familienhelfern stattfanden, nämlich in ca. zweiwöchigem Rhythmus in Räumlichkeiten des Klägers und von einem Sozialarbeiter des Kreises geleitet. Obwohl diese Veranstaltungen formal als "freiwillig" und Fortbildung als "erwünscht" deklariert wurden, wurde im Rechtsstreit Inhalt und Konsequenzen dieser Besprechungen nicht hinreichend nachgegangen. Es könnte sich dabei um Zusammenkünfte gehandelt haben, die über die bloße Information für Abrechnungszwecke oder über die Vorbereitung behördlicher Entscheidungen über die Fortgewährung von Jugendhilfeleistungen hinausgingen: Die Teilnahme wurde den Familienhelfern vergütet, auch ist insoweit von "Erfahrungsaustausch" und "Beratung", aber auch von "Qualitätssicherung" die Rede. Gerade aus einer näheren Betrachtung dieser Veranstaltungen könnten noch bedeutsame Erkenntnisse folgen, die in eine Gesamtabwägung eingehen müssen, insbesondere was die Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation und die Ausübung von Weisungsrechten anbelangt. Es fehlen auch genauere Feststellungen hinsichtlich der Rückkopplung mit dem Kläger und dazu, ob höchstpersönliche Leistungspflichten und Vertretungsregelungen bestanden. Zu prüfen ist weiter, ob aus den Umständen nicht sogar ein kontinuierlich praktiziertes, den jeweiligen Fall einer Familienbetreuung übergreifendes Rechtsverhältnis (z.B. eine Rahmenvereinbarung) herzuleiten ist, das für eine Beschäftigung sprechen könnte. Aus diesen – und weiteren – Umständen könnte sich dann ggf. ein anderes Gesamtbild ergeben als vom Landessozialgericht in seinem Urteil zugrunde gelegt. 
Im Fall des Landes Berlin fehlen hinreichende Feststellungen des Landessozialgerichts dazu, unter welchen rechtlichen Vorgaben die Familienhelfer dort überhaupt tätig wurden. Obwohl vom Kläger nach außen hin formal Selbstständigkeit gewollt war, könnten Umstände darauf hindeuten, dass trotz der gewählten rechtlichen Konstruktion (nur Bewilligungsbescheid gegenüber dem jugendhilferechtlich Berechtigten, Betonung, dass "keinerlei Rechtsbeziehungen" des Familienhelfers zum Land Berlin bestünden) eine Beschäftigung vorlag. Von Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang z.B. die Gewährung an sich typischer Arbeitgeberleistungen des Landes an die Beigeladene zu 1. sein, nämlich einer "Urlaubsabgeltung" (was gedanklich einen eingeräumten Urlaubsanspruch nach dem BUrlG voraussetzt, der nicht in Natur genommen werden konnte) sowie die laufende Zahlung von Zuschüssen zur freiwilligen Krankenversicherung; zu den Hintergründen dafür fehlen Feststellungen. Hinzu kommen hier noch – abweichend vom Fall 4) – Hinweise auf eine Vergütungshöhe, die sich kaum von derjenigen für angestellte Fachkräfte abgehoben haben dürfte. Vor diesem Hintergrund wird (ebenso in Bezug auf ein fehlendes Vergütungsausfallrisiko) festzustellen und zu klären sein, ob überhaupt typische Chancen und Risiken einer Selbstständigkeit bestanden. Darüber hinaus wäre auch hier zu prüfen, ob aus den Umständen ggf. ein die einzelnen familienbezogenen Einsätze übergreifendes Rechtsverhältnis herzuleiten ist. Das sich anschließend ergebende Gesamtbild könnte hier ebenfalls zu einem vom angefochtenen LSG-Urteil abweichenden Ergebnis führen.