selbständige Buchhalterin
Das Sozialgericht München hatte im Juli in dem Verfahren S 30 R 1750/10 über eine selbständige Buchhalterin zu befinden, die für eine Steuerberaterkanzlei als freie Mitarbeiterin tätig war. Der Einsatzort lag dabei beim Mandanten wie auch teilweise in der Kanzlei. Eine Abrechnung gegenüber dem Mandanten gab es nicht.
Ich muss gestehen, dass ich die Urteile dieser Kammer selten akzeptiere. Zu den Entscheidungsgründen hier:
Die angefochtenen Bescheide halten der gerichtlichen Überprüfung
stand. Von der Beklagten und vom Gericht zu beurteilen war lediglich die
Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin. Weitere berufliche
Betätigungsfelder haben außer Betracht zu bleiben. In der modernen
Arbeitswelt wird eine Diversifikation des Berufs- und Erwerbslebens
immer alltäglicher. Klassische Selbstständige und Freiberufler wie
Landwirte, Handwerksmeister, Rechtsanwälte oder Architekten setzen auf
das „zweite Standbein“ einer Nebentätigkeit genauso wie Angestellte,
Beamte oder Richter. Die zusätzlichen Erwerbsarbeiten werden je nach
Umfang, Art und Wesen in versicherungspflichtiger Beschäftigung, auf der
Basis einer Geringfügigkeit oder in selbstständiger Tätigkeit erbracht.
Nebenberufliche Entfaltungen finden gleichermaßen statt in einer
fachlichen Nähe zum Hauptberuf etwa bei der Lehr-, Vortrags- und
Fachschriftstellertätigkeit des Juristen oder des Arztes oder aber auch
fachfremd etwa beim sprichwörtlichen Taxijob des nicht ausgelasteten
Rechtsanwalts, beim musikalischen Auftritt des Gymnasiallehrers oder bei
der in Teilzeit tätigen Beamtin, die am Samstag Semmeln verkauft. Der
skizzierten Vielfältigkeit beruflicher Tätigkeiten kommt eine
gesellschaftliche Entwicklung entgegen, in der Werturteile über die
Standesgemäßheit der einen oder anderen Arbeit an Bedeutung verlieren.
Der Akademiker verliert nicht an Reputation, wenn er abends im Kino
kassiert oder an der Bar einer Kneipe bedient. Eine selbstständige
Tätigkeit kann genauso gut durch eine in Teilzeit ausgeübte abhängige
Beschäftigung ergänzt werden wie umgekehrt eine abhängige Beschäftigung
mit einer an arbeitsfreien Abenden und Wochenenden erbrachte
selbstständige Tätigkeit kombiniert werden kann.
In einer solcher Art geprägten Arbeitswelt lässt sich zwanglos und
widerspruchsfrei erkennen, dass die Beigeladene unbestritten und daher
nicht beweispflichtig eine eigene steuerberatende Tätigkeit
selbstständig, mit eigenen Geschäftsräumen und eigenem Kapitaleinsatz
ausübt, jedoch daneben auch einer fachlich eng am Hauptberuf
orientierten abhängigen Beschäftigung bei der Klägerin nachgeht. Ihr
Beschäftigungsverhältnis ist gekennzeichnet durch eine stets
gleichbleibende und wiederkehrende sehr konkrete Aufgabenstellung, eine
problemlose zeitliche Messbarkeit des Arbeitsvolumens und demgemäß ein
an Arbeitsstunden orientiertes festes Entgelt. Gerade eine von der
Klägerin als etwas weniger qualifiziert bezeichnete von großer Routine
gekennzeichnete Zuarbeit kann besonders gut an eine nicht zum
Stammpersonal gehörende und nicht ständig in den Betriebsräumen
anwesende Arbeitnehmerin delegiert werden. Die Einräumung einer sehr
flexiblen Arbeitszeit ist heute absolut üblich. Für Büroarbeiten ohne
unmittelbaren Kundenkontakt wird oft nicht einmal mehr die Einhaltung
einer Kernzeit verlangt. Gleichermaßen ist auch die Möglichkeit oder
sogar die Erwartung der teilweisen Verlagerung der Arbeit nachhause
keine Besonderheit selbstständiger Tätigkeiten. Etwa für junge Mütter
und Beschäftigte mit langen Anfahrwegen ist der in die Wohnung
verlagerte Bildschirmarbeitsplatz alltäglich geworden.
Ein Vergleich mit dem Rundfunkmitarbeiter
oder Filmproduzenten geht fehl. Solche publizistisch oder künstlerisch
wirkenden Auftragnehmer betreuen in größter Souveränität ein Projekt
oder ein Produkt und werden für das Endergebnis honoriert. Dabei spielt
es keine Rolle, an welchen Arbeitsplätzen, mit welchen Hilfskräften, mit
welchem Zeitaufwand und unter Heranziehung welcher sonstiger Ressourcen
sie dieses Ergebnis zu Stande gebracht haben.
Vertragliche Beziehungen bestehen ausschließlich zwischen der
Klägerin und der Beigeladenen, nicht jedoch zwischen der Beigeladenen
und der Mandantschaft der Klägerin.
Zutreffend hat die Beklagte auch erläutert, dass ein Ausschluss von
Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüchen kein Indiz für eine
selbstständige Tätigkeit ist. Ganz im Gegenteil hat die Klägerin
vorliegend ihrer Arbeitnehmerin rechtswidrig solche Ansprüche
verweigert. An der für das abhängige Beschäftigungsverhältnis typischen
persönlichen Abhängigkeit besteht vorliegend kein Zweifel, weil es die
Hälfte der gesamten Berufstätigkeit der Beigeladenen ausmacht. Aber auch
bei einem geringeren Umfang wäre eine bedeutsame Funktion für die
Lebenshaltung der Beigeladenen anzuerkennen. Die Besonderheiten einer
nur punktuell geforderten Arbeit von insgesamt belanglosem Umfang etwa
beim gelegentlichen Schneeräumen oder Rasenmähen durch den Sohn der
Nachbarn sind vorliegend nicht zu erörtern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen