Montag, 26. November 2012

selbständige Buchhalterin

Das Sozialgericht München hatte im Juli in dem Verfahren S 30 R 1750/10 über eine selbständige Buchhalterin zu befinden, die für eine Steuerberaterkanzlei als freie Mitarbeiterin tätig war. Der Einsatzort lag dabei beim Mandanten wie auch teilweise in der Kanzlei. Eine Abrechnung gegenüber dem Mandanten gab es nicht.  

Ich muss gestehen, dass ich die Urteile dieser Kammer selten akzeptiere. Zu den Entscheidungsgründen hier: 

Die angefochtenen Bescheide halten der gerichtlichen Überprüfung stand. Von der Beklagten und vom Gericht zu beurteilen war lediglich die Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin. Weitere berufliche Betätigungsfelder haben außer Betracht zu bleiben. In der modernen Arbeitswelt wird eine Diversifikation des Berufs- und Erwerbslebens immer alltäglicher. Klassische Selbstständige und Freiberufler wie Landwirte, Handwerksmeister, Rechtsanwälte oder Architekten setzen auf das „zweite Standbein“ einer Nebentätigkeit genauso wie Angestellte, Beamte oder Richter. Die zusätzlichen Erwerbsarbeiten werden je nach Umfang, Art und Wesen in versicherungspflichtiger Beschäftigung, auf der Basis einer Geringfügigkeit oder in selbstständiger Tätigkeit erbracht. Nebenberufliche Entfaltungen finden gleichermaßen statt in einer fachlichen Nähe zum Hauptberuf etwa bei der Lehr-, Vortrags- und Fachschriftstellertätigkeit des Juristen oder des Arztes oder aber auch fachfremd etwa beim sprichwörtlichen Taxijob des nicht ausgelasteten Rechtsanwalts, beim musikalischen Auftritt des Gymnasiallehrers oder bei der in Teilzeit tätigen Beamtin, die am Samstag Semmeln verkauft. Der skizzierten Vielfältigkeit beruflicher Tätigkeiten kommt eine gesellschaftliche Entwicklung entgegen, in der Werturteile über die Standesgemäßheit der einen oder anderen Arbeit an Bedeutung verlieren. Der Akademiker verliert nicht an Reputation, wenn er abends im Kino kassiert oder an der Bar einer Kneipe bedient. Eine selbstständige Tätigkeit kann genauso gut durch eine in Teilzeit ausgeübte abhängige Beschäftigung ergänzt werden wie umgekehrt eine abhängige Beschäftigung mit einer an arbeitsfreien Abenden und Wochenenden erbrachte selbstständige Tätigkeit kombiniert werden kann.
In einer solcher Art geprägten Arbeitswelt lässt sich zwanglos und widerspruchsfrei erkennen, dass die Beigeladene unbestritten und daher nicht beweispflichtig eine eigene steuerberatende Tätigkeit selbstständig, mit eigenen Geschäftsräumen und eigenem Kapitaleinsatz ausübt, jedoch daneben auch einer fachlich eng am Hauptberuf orientierten abhängigen Beschäftigung bei der Klägerin nachgeht. Ihr Beschäftigungsverhältnis ist gekennzeichnet durch eine stets gleichbleibende und wiederkehrende sehr konkrete Aufgabenstellung, eine problemlose zeitliche Messbarkeit des Arbeitsvolumens und demgemäß ein an Arbeitsstunden orientiertes festes Entgelt. Gerade eine von der Klägerin als etwas weniger qualifiziert bezeichnete von großer Routine gekennzeichnete Zuarbeit kann besonders gut an eine nicht zum Stammpersonal gehörende und nicht ständig in den Betriebsräumen anwesende Arbeitnehmerin delegiert werden. Die Einräumung einer sehr flexiblen Arbeitszeit ist heute absolut üblich. Für Büroarbeiten ohne unmittelbaren Kundenkontakt wird oft nicht einmal mehr die Einhaltung einer Kernzeit verlangt. Gleichermaßen ist auch die Möglichkeit oder sogar die Erwartung der teilweisen Verlagerung der Arbeit nachhause keine Besonderheit selbstständiger Tätigkeiten. Etwa für junge Mütter und Beschäftigte mit langen Anfahrwegen ist der in die Wohnung verlagerte Bildschirmarbeitsplatz alltäglich geworden.
Ein Vergleich mit dem Rundfunkmitarbeiter oder Filmproduzenten geht fehl. Solche publizistisch oder künstlerisch wirkenden Auftragnehmer betreuen in größter Souveränität ein Projekt oder ein Produkt und werden für das Endergebnis honoriert. Dabei spielt es keine Rolle, an welchen Arbeitsplätzen, mit welchen Hilfskräften, mit welchem Zeitaufwand und unter Heranziehung welcher sonstiger Ressourcen sie dieses Ergebnis zu Stande gebracht haben.
Vertragliche Beziehungen bestehen ausschließlich zwischen der Klägerin und der Beigeladenen, nicht jedoch zwischen der Beigeladenen und der Mandantschaft der Klägerin.
Zutreffend hat die Beklagte auch erläutert, dass ein Ausschluss von Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüchen kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit ist. Ganz im Gegenteil hat die Klägerin vorliegend ihrer Arbeitnehmerin rechtswidrig solche Ansprüche verweigert. An der für das abhängige Beschäftigungsverhältnis typischen persönlichen Abhängigkeit besteht vorliegend kein Zweifel, weil es die Hälfte der gesamten Berufstätigkeit der Beigeladenen ausmacht. Aber auch bei einem geringeren Umfang wäre eine bedeutsame Funktion für die Lebenshaltung der Beigeladenen anzuerkennen. Die Besonderheiten einer nur punktuell geforderten Arbeit von insgesamt belanglosem Umfang etwa beim gelegentlichen Schneeräumen oder Rasenmähen durch den Sohn der Nachbarn sind vorliegend nicht zu erörtern.

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